Wir sind alle Maschinen! Oder?

Für Viktorija

Wir sind Getting Tough, wir sind Tough Guy, wir sind sogar Toughest. Die Hindernislauf-Szene schmückt sich gerne mit kraftvollen Worten und Superlativen. Schneller, höher, weiter… Das ist Programm. Und die OCR-Athleten fühlen sich sehr wohl damit, ein Teil dieser Szene zu sein. Es ist cool, ein harter Hund zu sein.

Wer einen OCR-Lauf erfolgreich finisht fühlt sich großartig. Wer das Ziel erreicht, gehört dazu. Wir erhalten Finisher-Shirts und Medaillen, lecken gemeinsam Wunden und ergötzen uns an jeder Menge Fotos und Videos. Seien es professionelle Fotos vom Veranstalter oder die aus der eigenen GoPro-Kamera. Dazu kommen großartige Erlebnisse aus dem Rennen, die die man nicht vergisst, die immer und immer wieder erzählt werden, ja, die irgendwann fast zu Legenden werden. Wir sind alle “Maschinen”, oder?

Nein, wir sind keine Maschinen. Wir sind Menschen. Und die Veranstalter versuchen mit immer neuen Ideen die OCR-Rennen immer härter zu machen, damit wir Menschen an unsere Grenzen kommen. Kälte, Höhe, Enge, Matsch, kräftezehrende Bauten, Stromschläge und vieles wovor der Mensch sonst noch so Angst hat, werden in die Rennen integriert. Dazu gerne noch jede Menge Höhenmeter, so dass es möglichst schwierig wird, zu finishen. Beim Tough Guy in Wolverhampton (UK) schaffen es 40 Prozent der Starter nicht ins Ziel.

Auch die Besten können versagen

Jetzt könnte man meinen, dass sich die Athleten, die nicht ins Ziel kommen, nicht gut genug vorbereitet haben. Oder dass sie einfach nicht hart genug sind. Aber das wäre ein Irrtum. Selbst Charles Franzke, einer der besten deutschen OCR-Athleten (Platz 17, OCR-WM 2015), musste 2015 den Tough Guy abbrechen – obwohl er ihn im Vorjahr sogar gewinnen konnte. Auch andere Spitzenathleten mussten schon vorzeitig aus Rennen aussteigen.

Es kann jeden treffen. Und das macht ja auch gerade den Reiz aus. Einen 5km-Jedermann-Lauf zu finishen ist keine große Kunst. Aber eine Herausforderung wie Getting Tough zu meistern oder einen Marathon zu finishen ist eine andere Hausnummer. Denn bei dieser Art von Rennen kann alles passieren.

Maschinen können nicht weinen. Wir schon.

Was aber, wenn wir zu denen gehören, die nicht gefinisht haben? Kein Finisher-Shirt. Keine Medaille. Das Bier im Ziel schmeckt fahl. Und die Fotos mag man auch nicht angucken. Man fühlt sich schlecht, ja gar als Versager. Während die anderen sich freuen und feiern, steht man außen vor. Man gehört nicht zum Club der Finisher.

Wir sind im Leben immer wieder mit Situationen konfrontiert, die wir nicht ändern können. Und die Tatsache, dass wir ein Rennen, bei dem wir angetreten sind, nicht gefinisht haben, können wir im Nachhinein nicht mehr ändern. Aber wir können beeinflussen, wie wir mit der Situation umgehen. Wir können uns auf das Nicht-Finishen fokussieren – oder versuchen das Positive zu sehen.

Mein Marathon-Debakel

Ich bin dieses Jahr Marathon in Frankfurt gelaufen und wollte mit einer 3:09 finishen. Als Zweit- bzw. Drittziel hatte ich mir “unter 3:15” beziehungsweise, falls es ganz hart kommen sollte, “unter 3:20” vorgenommen. Ich war gut vorbereitet, alles war durchdacht, ich hatte genug trainiert. Doch es kam anders als geplant. Ab Kilometer 28 schliefen meine Füße ein, wurden komplett taub. Bald darauf fingen meine Oberschenkel an zu krampfen. Ich weiß nicht, ob die tauben Füße die Ursache dafür waren. Woran es auch lag, ich musste das Tempo erheblich drosseln. Ja, ich konnte finishen, aber mit einer 3:24. Ich hatte eine Packung von 15 Minuten auf meine Zielzeit bekommen, nicht mal mein Drittziel erreicht.

Ich könnte jetzt enttäuscht sein. Klar, wenn wundert’s: Das war ich auch im ersten Moment. Aber mit etwas Abstand, hat sich meine Perspektive darauf gedreht. Ich sehe jetzt die positiven Dinge! Zunächst einmal: Ich habe gefinisht. Und zwar trotzdem es richtig schlecht lief und ich meine Ziele nicht erreicht habe. Ich habe gekämpft bis zum Schluß, auch als ich sah, dass selbst mein Drittziel nicht mehr erreichbar war. Mehr konnte ich nicht tun. Aber das habe ich getan.

Der zweite Erfolg ist, dass ich überhaupt gestartet bin! Und nicht nur das: Ich habe die gesamte, lange Marathonvorbereitung durchgezogen. Im Jahr davor hatte ich mich so unter Erfolgsdruck gesetzt, dass ich schließlich gar nicht gestartet bin. Ich habe das Training einfach vier Wochen vorher abgebrochen. Ich habe jetzt eine aktuelle Marathonzeit stehen, die ich, wenn ich mag, nächstes Jahr wieder angreifen kann.

Es sind die Niederlagen, die uns stark machen

Es ist keine Schande, das Ziel oder seine Ziele nicht zu erreichen. Was zählt, ist der Versuch. Und das wieder aufstehen. Niederlagen sind Geschenke, aus denen wir lernen dürfen. Aber wir müssen es wollen. Wer seine Niederlage anerkennt und bereit ist, daraus zu lernen, ist schon halb auf dem Weg zum nächsten Erfolg.

Also, Laufschuhe wieder anziehen, Doppelknoten machen, Zähne zusammen beißen und neue Ziele ins Auge fassen. Wer sich von einer Niederlage nicht unterkriegen lässt ist tatsächlich ein harter Hund.

1 Kommentar zu „Wir sind alle Maschinen! Oder?“

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